Wo die Musi spielt

Das Woodstock der Blasmusik in Oberösterreich etabliert sich als wichtigstes europäisches Brass-Festival. Mit dabei auch mehrere Schweizer Formationen.

von Hans Bärtsch

«Und, was spielst du?» Es ist die obligate Frage im Shuttle-Bus zum Festivalgelände im oberösterreichischen Ort im Innkreis. Die zweite lautet: «Zum ersten Mal?» Schon bevor der erste Ton erklingt, ist klar: Das ist ein Familientreffen. Ein Stelldichein nicht nur der passiven Blasmusik-Anhänger, sondern vor allem der selber Aktiven auf diesem Gebiet. Der eine oder die andere hat das Instrument samt Zelt- und anderem Gepäck sichtbar mit dabei beim Anmarsch auf ein Gelände in der Pampa mit Autobahnanschluss, das am letzten Juni-Tag innert Stunden zu einem Schlammfeld wird, welches dem St. Galler Sittertobel alle Ehre macht.

ErnstHutter_Egerländer

Zum vierten Mal dabei: Die Egerländer Musikanten mit Frontmann Ernst Hutter heizen dem Publikum am Woodstock der Blasmusik ein. (Bild Klaus Mittermayr)

Willkommen beim Woodstock der Blasmusik, diesem selbsternannten Fest von Blasmusikanten für Blasmusikanten. 2011 erstmals durchgeführt, ist es kontinuierlich gewachsen auf über 50‘000 Besucherinnen und Besucher. Nicht wenige von ihnen sind zum achten Mal dabei. Auf vier Bühnen präsentieren sich mehr als 110 Formationen. Auch unter ihnen hats zahlreiche Wiederholungstäter. Ernst Hutter beispielsweise mit seinen Egerländer Musikanten ist das vierte Mal mit dabei. Sie hätten ein spezielles Programm für diesen Auftritt zusammengestellt, sagt Hutter. Er meint damit unter anderem den «Rekrutenmarsch» aus der Feder von Ernst Mosch, dem legendären Gründer und langjährigen Leiter der Egerländer. Selbstredend nicht verzichtet wird auf die grossen Polka-Schunkler wie «Auf der Vogelwiese».

Spagat zwischen Tradition und Moderne

Um jetzt nicht einen falschen Eindruck zu erwecken: Traditionelle Volksmusik steht am Woodstock der Blasmusik nach wie vor im Zentrum. Aber nicht nur. Gleich der Eröffnungsabend zeigt die enorme stilistische Vielfalt, die an diesem Open Air geboten wird. Die Gruppe Spanish Brass spielt raffiniert arrangierte Stücke von Chick Corea, Nino Rota, Frank Zappa, Duke Ellington, um nur einige zu nennen. Es ist ein Auftritt, der eigentlich in ein Konzerthaus gehört, der aber auch in diesem Umfeld eher wenige, dafür sehr aufmerksame Zuhörer findet. Fanfare Ciocarlia signalisieren dann gleich darauf quasi das andere Ende der Fahnenstange. Mit unglaublicher Energie lanciert die mehr als dutzendköpfige rumänische Truppe eine Balkan-Party, die sich gewaschen hat. Viera Blech aus Tirol wiederum stecken zu noch späterer Stunde Popnummern wie «Let Me Entertain You» von Robbie Williams ins Brass-Gewand.

Stimmungsbild

Ein Fest für Blasmusikanten: Am Woodstock kann das Wetter sein, wie es will, es wird musiziert, auch auf dem Zeltplatz. (Bild Klaus Mittermayr)

Wenn man etwas bekritteln möchte, ist es just dieser manchmal etwas bemühte Spagat zwischen Tradition und Moderne, diese mitunter geradezu krampfhaft bemühte Suche nach Originalität, die vor allem auf jenen Bühnen zutage tritt, wo es in erster Linie um Stimmung und Party geht. Dort ist kein Rock’n’Roll-Klassiker oder Helene-Fischer-Schlager zu abwegig, um zum Mitklatschen zu bewegen.

Stimmungsmacher Nummer 1

Am Freitag, dem von den äusseren Bedingungen deutlich angenehmeren zweiten Festivaltag, können sich verschiedene Schweizer Formationen in Szene setzen. Allen voran die Swiss Army Big Band unter der Leitung von Edgar Schmid mit einem launig gewählten Repertoire, das den jungen Akteuren gerade auch solistisch den nötigen Platz einräumt. Man darf sich vorfreuen auf diese Formation, welche in wenigen Wochen Headliner des Jazz-Festivals in Sargans sein wird. Ein eigentlicher Ableger früherer Armeespiele ist die Blaskapelle Nord-Süd. Ein Haufen Musikbegeisterter, der einfach miteinander weitermachen wollte nach der Rekrutenschule. Eine schmissige Sache! Tags darauf stehen nochmals Schweizer im Fokus. Die Rheintaler Formation Fäaschtbänkler macht ihrem Namen insofern alle Ehre, als bei ihrem Auftritt keine Festbank unbestiegen, kein Stimmband unversehrt bleibt – sie sind an diesem Samstag die Stimmungsmacher Nummer 1. Vor allem die raffinierten, mitreissenden Medleys mögen zu gefallen.

Zu einer Premiere kommt es am Freitag, als mit der einheimischen Folkshilfe die erste Formation in der Geschichte des Woodstock der Blasmusik auftritt, die ganz ohne Blasinstrument auskommt. Aber wer «Maria Dolores» als tanzbaren Reggae auf die Bühne bringt, ist hier nicht wirklich fehl am Platz. Überhaupt ist die Toleranz an diesem Festival riesig. «Hier hats für alle was», ist einer der meistgehörten Aussprüche. Wem ein Vortrag nicht passt, zügelt einfach zur nächsten Bühne.

European Tuba Power

Bayrischer Tausendsassa: Andreas Martin Hofmair (Mitte) hier bei seinem Auftritt mit der Formation European Tube Power. (Bild Klaus Mittermayr)

So hat auch Andreas Martin Hofmair, der sogenannte Woodmaster, keine Mühe, am Schlusstag den Publikumsbereich der einen Hauptbühne mit Liebesliedern aus Brasilien leerzuspielen. Mit einem Augenzwinkern selbstverständlich und einer Brillanz, die auf der Tuba seinesgleichen sucht. Was dieser bayrische Tausendsassa (Musikprofessor am Mozarteum in Salzburg, Musikkabarettist, Buchautor, Echo-Preisträger für eine Klassik-Albumproduktion, Mitbegründer von LaBrassBanda usw.) auch am Freitag als Viertel der European Tuba Power unter Beweis stellt. Apropos LaBrassBanda – zu einem Comeback Hofmairs kommts dabei nicht. Aber zum wiederholten Mal ist die Blasmusikgruppe, die vor 14 Tagen schon das Quellrock in Bad Ragaz rockte, mit ihrer Melange aus Gypsy, Jazz, Hip-Hop, Techno, Funk und Volksmusik der unbestrittene Höhepunkt am Woodstock der Blasmusik. Wers immer noch nicht ganz verstanden hat: Das ist dort, wo die Musi spielt, wie die Kenner – darunter etliche Festivalgänger aus der Schweiz – sagen.

Südostschweiz (04.07.2018)