Nein, ich neige nicht zur Bequemlichkeit. Aber da die eigene Halbjahresbilanz – für mich zumindest – auch zum Ende von 2022 Bestand hat, lasse ich sie unverändert so stehen (siehe weiter unten). Und ergänze hier folglich nur noch, was in den zweiten sechs Monaten hinzugekommen ist. Etwa die Schlussfolgen von «Better Call Saul», die aus einem Pre- ein Sequel werden lassen. Die Macher dieser Serie haben offenbar von Anfang bis zum Ende haargenau gewusst, was sie machen. Vor allem, wie die Geschichte stimmig zum Abschluss gebracht wird – etwas, das die Kreativköpfe hinter «Dexter» auch mit einer zusätzlichen neunten Staffel mit dem Namen «Dexter – New Blood» auf keine Art und Weise imstande waren. Beim Überraschungserfolg «Slow Horses» ist bereits eine zweite Staffel hinzugekommen. Auch diese bietet beste Unterhaltung; mir hätte allerdings eine erste (und einzige) Miniserie gereicht, die Ausgangslage – eine Zwangsgemeinschaft gescheiterter MI5-Spione – dürfte sich recht rasch ausreizen.
So, und nun wirklich zu den ganz neuen Sachen 2/2022:
«Bad Sisters» (Apple TV+): Ja, diese Schwestern sind böse und schlecht, wollen sie Grace (eine von ihnen) doch von ihrem fiesen Ehemann befreien. Und scheitern immer wieder. Wer schwarzen britischen Humor liebt, ist hier am richtigen Ort.
«Lauchhammer – Tod in der Lausitz» (Arte): Um es mit den Worten der FAZ zu sagen: Im sechsteiligen Krimi geht es um ein Verbrechen von heute und um Unrecht zu DDR-Zeiten. Die vom Tagebau geschundene Landschaft ist grossartig gefilmt, die Schauspieler sind bestechend.
«The White Lotus» (HBO/Sky Show): Statt Hawaii, wie in Staffel 1, ist der Schauplatz nun Sizilien. Als tragische Figur mit dabei ist nur noch Jennifer Coolidge. Diese Gesellschaftssatire hat den richtigen Biss, verbunden mit der Erkenntnis, dass Reichsein mit ziemlich vielen Nachteilen verbunden sein kann.
«We Own This City» (HBO/Sky Show): In der amerikanischen Grossstadt Baltimore reagieren Korruption, Polizeigewalt und Misswirtschaft. Diese Serie, hinter der erneut Drehbuchautor David Simon steht, ist quasi die Fortsetzung von «The Wire». Und genau so deprimierend, steht zum Schluss doch die Wahl eines gewissen Donald Trump zum US-Präsidenten an, der gewisse Fortschritte beim Ausmisten dieses Augiasstalls wieder rückgängig machen könnte.
«Dahmer» (Netflix): In mancher Hinsicht sind die USA eine Bananenrepublik (siehe auch «We Own This City»). Bei der Geschichte dieses Serienmörders (und Kannibalen) hat die Polizei lange Zeit Hinweise auf das grausige Tun des Jeffrey Dahmer in der Schwulenszene von Milwaukee ignoriert. Unfassbar.
«Höllgrund» (SWR): Warum bloss werden gewisse Mehrteiler wie dieser grossartige Krimi in den jeweiligen Mediatheken (hier: ARD) «versteckt»? Verstehe das, wer will. Jedenfalls führt «Höllgrund» mit viel schwarzem Humor in die Abgründe eines Schwarzwalddorfes. Eine hartnäckige Polizistin geht der Reihe von mysteriösen Todesfällen nach, die sich dort ereignen.
«Tschugger» (SRF/Sky Show): Die zweite Staffel von «Tschugger» war schon abgedreht, als die erste 2021 zu einem Grosserfolg fürs Schweizer Fernsehen wurde. Jetzt geht es bei Bax, Smetterling und Co. noch Verrückter zu und her auf der Jagd nach richtigen und falschen Gangstern. Überaus witzige Krimikomödie aus dem Wallis.
Ab hier die unveränderte Halbjahres-Bestenliste 2022:
- «Better Call Saul» (Netflix). Fünf Folgen sind zwar noch ausstehend, aber die Schlussstaffel dieses Prequels von «Breaking Bad» schlägt alles in Sachen schier schmerzhaft langsamer, aber dennoch absolut konziser, kunstvoller Erzählweise. Und über allem steht die Frage: Was wird aus Kim Wexler, der besseren Hälfte des halbseidenen Anwalts Jimmy McGill alias Saul Goodman?
- «Stranger Things» (Netflix). In der zweitletzten Staffel dieser Science-Fiction-Mysteryserie geht es düsterer zu und her als bislang. Gleichzeitig ist die in den Achtzigerjahren in einer amerikanischen Kleinstadt angesiedelte Geschichte um Jugendliche, die mit dem Bösen zu kämpfen haben, unglaublich spannend und unterhaltsam. Ach ja: Dass Kate Bush neuerlich zu Hitparaden-Ehren gekommen ist durch «Stranger Things», dürfte inzwischen Allgemeinwissen sein.
- «Severance» (Apple TV+). Die Ironie an dieser Serie ist, dass sie die Arbeitswelt eines Unternehmens zeigt, das auch Apple sein könnte. Die Angestellten werden einem Eingriff unterzogen, die ihre Erinnerungen in die Arbeits- und die Privatwelt unterteilt. Bloss geht das nicht immer ganz reibungslos – mit entsprechenden Konsequenzen. Fortsetzung folgt.
- «Slow Horses» (Apple TV+). Britische MI5-Agenten, die versagt haben, landen im Slough House und werden dort von einem konstant schlechtgelaunten Jackson Lamb (grossartig: Gary Oldman) mit sinnlosen Aufgaben gepiesakt. Dass die «alten Gäule» doch noch etwas können, zeigt sich indes schon recht bald.
- «Euphoria» (Sky Show). Natürlich kann man darüber diskutieren, wie krass man das Leben von (drogenabhängigen) Jugendlichen zeigen muss – Staffel 1 gab diesbezüglich gehörig zu reden. Rue (gespielt von Zendaya) erneut durch ihre (wenigen) Hochs und (deutlich mehr) Tiefs zu folgen, tut richtiggehend weh. Aber so ist es nun mal, wenn der Gefühlshaushalt verrückt spielt.
- «Der Pass» (Sky Show). Als eine junge Touristin in der Nähe von Salzburg tot aufgefunden wird, müssen deutsche und österreichische Kriminalpolizei erneut zusammenarbeiten. Ellie Stocker (Julia Jentsch) wie Gedeon Winter (Nicholas Ofzcarek) sind von der Jagd auf den Krampus-Killer in Staffel 1 derart angeknackst, dass man um beide ernsthaft fürchten muss. Eine der besten deutschen Thrillerserien.
- «After Life» (Netflix). Schwarzhumorig, wie es nur die Briten können. Ricky Gervais gibt den grantigen Witwer Tony. Allerdings ist nicht mehr alles Zynismus pur, sondern auch (vorsichtiger) Optimismus. Dass die Schlussstaffel 3 dieser Serie für Tony wie dessen Umfeld versöhnlich endet, ist das Allerschönste an ihr.
- «Ozark» (Netflix). Irgendjemand in dieser Serie um Geldwäscherei und Drogenkartelle, der nicht hochgradig borderline unterwegs ist? Nein. Überraschend ist bloss, wer gegen Schluss dieser finalen Staffel 4 auch noch (fast) durchdreht. Ohne zu viel zu verraten: Es endet nicht gut, was besonders im Fall von Ruth Langmore (Julia Garner) mehr als nur tragisch ist.
- «Yellowstone» (Sky Show). Das Drama um eine Familienranch, die John Dutton (Kevin Costner) mit aller Macht verteidigen will, erreicht immer neue Eskalationsstufen. Dass da auch Waffengewalt im Spiel ist, macht die Serie angesichts der aktuellen Diskussionen in den USA zum Thema eigentlich zu einem No-go. Gleichwohl kann ich diesen Neo-Western nur empfehlen.
- «Vigil» (BBC/Arte). Internationale Spionage, Friedensaktivisten und ein Mord an Bord eines Atom-U-Bootes: «Vigil – Tod auf hoher See» ist eine hochspannende Thriller-Serie und, völlig verdient, die erfolgreichste BBC-Serie des vergangenen Jahres.
- «Euer Ehren» (ARD). «Your Honor» ist zwar noch nicht allzu lange her, gleichwohl hat mir auch diese Adaption der Geschichte um einen Richter, der seinen straffällig gewordenen Sohn zu decken versucht, den Ärmel reingenommen. Beider Leben geraten komplett aus der Bahn und werden zu einem wahren Alptraum.
- «Love & Anarchy» (Netflix). Nicht mehr ganz so unbeschwert wie in Staffel 1, aber immer noch eine der warmherzigsten Serien überhaupt: Eine erfolgreiche Beraterin und ein junger IT-Experte haben bei der Arbeit in einem alteingesessenen Buchverlag ein Techtelmechtel. Und fordern damit sich selber heraus, genauso wie ihr Umfeld. Aus harmlosen Spielchen wird bitterer Ernst. Das ist in erster Linie unglaublich komisch.
Ebenfalls sehr gut gefallen haben mir (ergänzte Liste):
«All In» (Comedy-Miniserie; One)
«Borgen» (Politdrama; Netflix). Weil ich sie nie ganz fertiggeschaut hatte, habe ich zuerst die Staffeln 1 bis 3 nachgeholt, bevors an die ganz neue Staffel 4 ging.
«Clark» (Drama-Miniserie; Netflix)
«Gangs of London» (Staffel 2; Krimi/Drama; Sky Show)
«Red Light» (Drama-Miniserie; Arte)
«Sacha» (Drama-Miniserie; RTS/Arte)
«Schneller als die Angst» (Thriller-Miniserie; ARD)
«Shining Girls» (Mystery-Thriller; Apple TV+)
«The Responder» (Drama-Miniserie; BBC)
«The Stranger – Ich schweige für dich» (Drama-Miniserie; Netflix)
«Vorstadtweiber» (Schlussstaffel 6; Comedy/Drama; ORF)
«Why Women Kill» (Staffel 1; Comedy/Drama; ORF)
«Wilder» (Schlussstaffel 4; Krimi/Drama; SRF)
«Zerv – Zeit der Abrechnung» (Drama-Miniserie; ARD)
Ebenfalls geschaut, aber nur teilweise überzeugt haben mich:
«Beforeigners» – Staffel 2 (Science-Fiction; ARD)
«Blocco 181» – Miniserie (Crime/Drama; Sky Show)
«Bortført – The Girl From Oslo» – Miniserie (Drama; Netflix)
«Dexter – New Blood» – Schlussstaffel 9 (Drama; Sky Show)
«Die Beschatter» – Staffel 1 (Dramedy; SRF)
«Die Wespe» – Staffel 2 (Comedy; Sky Show)
«Eine ganz gewöhnliche Frau» – Miniserie (Drama; Arte)
«Einfach Maria» – Web-Miniserie (Comedy; MDR)
«Harry Wild – Mörderjagd in Dublin» – Staffel 1 (Krimikomödie; ZDF)
«Heartbreak High» – Staffel 1 (Teen-Drama; Netflix)
«Helsinki Syndrom» – Miniserie (Drama; NDR/Arte)
«Hors Saison (Nebensaison)» – Miniserie (Crime/Drama; RTS/Playsuisse)
«Killing Eve» – Schlussstaffel 4 (Drama; Starzplay)
«King Of Stonks» – Miniserie (Comedy; Netflix)
«Never Have I Ever» – Staffel 3 (Teenie-Komödie; Netflix)
«Sløborn» – Staffel 2 (Horror/Drama; ZDF Neo)
«Teheran» – Staffel 2 (Drama; Apple TV+)
«Totenfrau» – Miniserie (Crime/Drama; ORF/Netflix)
«The Old Man» – Staffel 1 (Drama; Disney+)
«Trom – Tödliche Klippen» – Miniserie (Drama; Arte)
«Woodstock 99» (Musik-Doku; Netflix)