2016: Ein Jahrgang, der es in sich hatte. Reden wir nicht von Politik, sondern von Kunst und Kultur. Musikalisch äusserst ergiebig, wenn man seine Ohren in alle Richtungen offen hat(te) – was ja in Zeiten des Internets nicht so schwierig ist. Hier meine Top Ten mit einer klaren Nummer 1.
MARLON WILLIAMS – «Marlon Williams»
Ein Album, das für mich seit seinem Erscheinen vor knapp einem Jahr den Tag beschliesst. Jeden Tag. Keine andere Musik habe ich also öfters gehört 2016. Warum, kann ich allerdings bis heute nicht richtig in Worte fassen. Sicher ist es die unglaubliche Stimme des 26-jährigen Neuseeländers, die melodieseligen Lieder, die in starkem Kontrast stehen zu den dunklen Inhalten. Es ist, wie wenn sich Chris Isaak mal wieder am Riemen gerissen hätte für einen durchgehend guten Longplayer, oder Rufus Wainwright sich stilistisch nicht in alle Himmelsrichtungen verzetteln würde. Williams‘ Musik bewegt sich im weiten Americana-Feld, bedient sich des Sixties-Folk, spielt mit Bluegrass, Country, Rock’n’Roll. Ist aber vor allem eines: einfach unglaublich schön.
DAVID BOWIE – «Blackstar»
Die Konsensplatte des Jahres, die in keiner Bestenliste fehlt. Auch der traurige Umstand, dass deren Erschaffer nur zwei Tage nach dem Erscheinungstermin verstarb, schmälert die Qualität in keiner Weise. Verwandlungskünstler David Bowie hat sich mit «Blackstar» nochmals neu erfunden. Sich mit einer Jazzband zusammengetan, um einen düsteren, sperrigen Klangkosmos zu kreieren. Ein letzter Höhepunkt in der Karriere dieses Jahrhundertmusikers.
QUANTIC PRESENTA FLOWERING INFERNO – «1000 Watts»
Viele könnens ja nicht so mit Dub – zu eintönig, langweilig. Sage das einer von diesem Album! Der Engländer Will Holland, der hinter dem Namen Quantic steckt, hat mit Hilfe von Reggae-Koryphäen wie dem Bob-Marley-Schlagzeuger Carlton «Santa» Davis oder Sängerin Hollie Cook eine unglaublich groovende, abwechslungsreiche Scheibe aufgenommen. Das rührt vor allem daher, dass Holland ein stilistischer Grenzgänger ist, der sich unter anderem auch in allen möglichen Latino-Spielarten auskennt. «1000 Watts» ist der dritte Teil des Projekts «Flowering Inferno», das dem Dub eine kräftige Blutauffrischung beschert.
ORKESTA MENDOZA – «¡Vamos A Guarachar!»
Um beim Thema Grenzgänger zu bleiben – auch Sergio Mendoza ist ein solcher. Er hat mexikanische Spielarten wie Cumbia mit der Muttermilch aufgesogen. Und sich dann irgendwann in den USA mit dem Rock’n’Roll angefreundet. Das Resultat ist etwas vom Heissesten, was derzeit aus jener musikalischen Weltecke ertönt. Mitglieder von Calexico haben Hand angelegt bei diesem Album. «¡Vamos A Guarachar!» enthält schmalztriefende Balladen und pulsierende Hymnen. Musik, die Freude bereit, nicht mehr, und nicht weniger. Sehr grosse Freude.
MOP MOP – «Lunar Love»
Jede Musik hat ihre Wirkung. Was auf diesem Album ertönt, hat etwas zutiefst Meditatives, auch wenn es mal funky-jazzig abgeht. Der Italiener Andrea Benini, der hinter dem Projekt Mop Mop steckt, hat ein fantastisches Händchen für entspannte, aber immer spannende Downtempo-Stimmungen. Für Musik mit Wirkung eben.
CHILDISH GAMBINO – «Awaken, My Love!»
Es gibt wegweisende Alben, die kurz vor Jahresende veröffentlicht werden, und deshalb durch alle Jahresbestenlisten rasseln. Dies hier ist so eines. Donald Glover, der Kopf hinter Childish Gambino, ist ein künstlerischer Tausendsassa: Schauspieler, Comedian, Drehbuchautor, Regisseur, Rap-Musiker (Quelle: Wikipedia). Wie D’Angelo geht Glover mit dem Projekt Childish Gambino als Neuerer in Sachen Black Music durch. Bereits die Eröffnungsnummer «Me And Your Mama» ist ein Song von übergrosser Strahlkraft.
CHRIS ROBINSON BROTHERHOOD – «Anyway You Love, We Know How You Feel»
Während mich Ryley Walker mit seinem Zweitling nicht mehr zu überzeugen vermochte, sprang Chris Robinson Brotherhood in die sich auftuende Lücke des psychedelisch angehauchten Sixties-Rock. Wobei: Retro ist da gar nichts. Vielmehr ist «Anyway You Love…» ein unglaublich entspanntes, zeitloses Stück Musik mit richtigen Rockgitarren und Harmoniegesängen à la Crosby, Stills, Nash & Young. Ach ja: Chris Robinson Brotherhood ist eigentlich nichts anderes als ein neuer Name für Black Crowes. Erinnert sich jemand? Ach ja zum Zweiten: Wems gefällt, der lasse sich auch die nachgeschobene EP «If You Lived Here, You Would Be Home By Now» nicht entgehen.
RADIOHEAD – «A Moon Shaped Pool»
Zerrissen, ekstatisch, wie ein Feuerwerk, das im- statt explodiert. Irgendwie hatte die neue Radiohead-Scheibe nach Erscheinen nur eine kurze Halbwertszeit auf meiner Playlist. Beim Wiederhören zum Jahresende zeigt sich jedoch – das ist eines der besten Alben überhaupt dieser britischen Überrocker.
JAMES – «Girl At The End Of The World»
Um auf der Insel zu bleiben: Die Band James ist eines der letzten Überbleibsel der Madchester-Szene. Eine Institution. Und nach wie vor in alter Frische unterwegs, gerade auch, was ihre Liveauftritte anbelangt. «Girl At The End…» ist bei weitem nicht das beste Werk von James, aber immer noch eine erfreulich treibende, an leider vergangene Zeiten (auch des Britpops) erinnernde Songsammlung.
IGGY POP – «Post Pop Depression»
Punkig-wütender trifft Stoner-Rock. Unter Mithilfe von Mitgliedern der Queens Of The Stone Age ist Iggy Pop ein äusserst poppiges Album gelungen, und das im positivsten Sinn. Jeder Song kommt wie aus Stein gemeisselt daher, Hookline reiht sich an Hookline. Da ist nichts zu viel oder zu wenig, sondern genau so, wie es sein muss. Mit jedem Hören wird «Post Pop Depression» etwas mehr zu meiner liebsten Iggy-Pop-Scheibe überhaupt.
Weiters sehr gut gefallen haben mir 2016 folgende Alben (leider ohne Schweizer Beteiligung): «Love & Hate» von Michael Kiwanuka, «Hopelessness» von Anohni, «The Hope Six Demolition Project» von PJ Harvey, «Holy Cow» von Dub Dynasty, «You Want It Darker» von Leonard Cohen, «The Musical Mojo Of Dr. John» von Dr. John mit Gästen, «Night Thoughts» von Suede, «Blue And Lonesome» von Rolling Stones, «We Got It From Here… Thank You 4 Your Service» von A Tribe Called Quest, «City Sun Eater In The River Of Light» von Woods, «Floating Harmonies» von Júníus Meyvant, «Alles nix Konkretes» von AnnenMayKantereit, «Island Songs» von Ólafur Arnalds, «Ina Forsman» von Ina Forsman, «Amore meine Stadt (live) von Wanda.